Die Feuer des Lebens

Lesezeit 3 Minuten –

Als ich vor einiger Zeit den ersten Schimmel im Keller entdeckte, bekam ich die Krise. Die Steuerordner waren befallen, einige Materialien, die unten lagerten und auch mancher Erinnerungsgegenstand.

Was war erst mit den Belegexemplaren, mit den vielen veröffentlichten Artikeln über die Jahre von mir? Was war mit den Erinnerungskisten? Und mit den Essenzbüchern?

In den Essenzbüchern hatte ich über zehn Jahre lang die Essenzen meines Lebens festgehalten: Was habe ich gelernt? Was war wesentlich in diesem Moment? Es waren und sind wie Bibeln für mich, in denen in Worten, Bildern, Aufklebern und Zeichnungen das Wesentliche zusammengetragen ist. Rund 20 solcher Bücher hatte ich über die Zeit vollgeschrieben.

Schon vor einiger Zeit war da der Gedanke gewesen: Es bringt nichts (so schön sie auch sind), wenn die Gedanken nur in den Büchern stehen, es ist wichtig, das, was in ihnen steht, auch zu leben.

Dass es dann so kommen sollte, dass ich all meine Essenzbücher wegwerfen würde, das hatte ich nicht gedacht. Doch als ich die Kiste mit den Erinnerungen öffnete, erkannte ich direkt den feuchten, schimmeligen Geruch: Das Papier hatte die Feuchtigkeit gut angenommen, die Bücher waren nicht mehr zu gebrauchen.

Ich sah sie durch, verabschiedete mich von ihnen und damit auch von einem Großteil meines Lebens. Von dem, was ich für das Wichtigste gehalten hatte. Ich wusste, ich konnte es weiter leben – ich hatte es ja selbst erlebt.

So sind die Bibeln meines persönlichen Lebens in den Müll gewandert, der Keller wurde nach und nach vom Schimmel befreit und ich fühle mich, wie bereit und offen, mit recht leeren Händen, dastehend und dem Leben entgegentretend.

Freiwillig hätte ich das nie gemacht, die Essenzbücher wegzuwerfen. Doch es war ein guter Schritt im Loslassen, im Freiwerden. Und er hat mir die Frage dargebracht: Was ist, wenn ich all das, was ich einst erlebt habe – besonders auch das Schöne und Wertvolle – gehenlasse? Zumindest auf Papier, im festgehaltenen Zustand? Was, wenn ich frei und flexibel werde, nicht mehr festgelegt auf das, was war. Was muss ich gehenlassen auf diese Weise? Was wird möglich? Wer sind wir ohne die gelebte Geschichte, ohne die schönen Dinge und das Schwierige?

Natürlich, sie sind weiter da, in uns, und doch kann es gut sein, einmal zu prüfen: Woran klammere ich mich fest – an Gegenstände, Dinge, Erfahrungen und Erinnerungen, die längst nur noch auf Papier existieren? Was kann ich weiterziehen lassen, verschenken oder verkaufen? Wo kann ich etwas wegwerfen, etwas weggeben oder verbrennen?

Und was ist mir das Wertvollste, das ich niemals weggeben würde? Für mich waren es die Essenzbücher, mein Heiligtum, meine Bibeln, die jetzt in der großen Müllverbrennungsanlage, dem großen Feuer, einen neuen Weg gefunden haben.

Was würdest du freiwillig niemals hergeben? Und kannst du dir vorstellen, dich von ihm zu trennen? Welcher Raum würde wohl möglich?

PS. Dieser Prozess ist eingebettet in ein größeres Loslassen, so dass du am 18. April 2025 hier bei den Newslichtern Teil II lesen kannst in „Das große Loslassen“, ebenfalls von Sabrina Gundert.

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Sabrina Gundert
Sabrina Gundert

Sabrina Gundert begleitet als Coach, Sprecherin und Sachbuch-Autorin Menschen dabei, sich selbst, ihr eigenes Unternehmen und ihr Leben klar zu führen und zu leiten. Das bedeutet auch, zu wissen, wer man ist, den eigenen Herzensweg zu kennen und an den Schwellen des Lebens klare und stimmige Entscheidungen zu treffen. Um ein Leben zu führen, das einem wirklich entspricht und zugleich eingebunden ist in ein größeres Ganzes.
www.sabrinagundert.ch

4 Kommentare

  1. ….mmmm, schööööööön…..all Deine Fragen….. nehme ich mir mit in meinen Tag und zu meinem aktuellen Entrümplungsprozess dazu als Anhaltspunkte……DANKE ❤️ 🫶 ♥️ 💜, liebe Sabrina, für Dein Teilen hier……Dein Text erreicht mich genau zum richtigen Zeitpunkt……wie ermutigend…..und lohnend, die eigenen Gefühle im Abschied Nehmen zu würdigen…..macht es mir leichter und klarer, die „Schwelle“ zu lieben, an welcher ich mich nun befinde…..und die damit einhergehenden Geschenke…

    Von Herzen,
    Dagmar

  2. Liebe Sabrina!
    Danke fürs Teilen deiner so wertvollen Erfahrung.
    Scheinbar sind wir alle in dieser Wandelzeit, denn auch ich habe etwas „Großes“ losgelassen.
    Die letzten Jahre war ich von dem Gedanken beseelt, dass ich meine Erfahrungen unbedingt in die Welt tragen müsse … und habe dabei vergessen, sie auch zu leben.
    Das habe ich nun umgedreht und mich damit befreit.
    Meine Internetseite besteht nur noch aus den wichtigsten Essenzen, der YouTube-Kanal ist Geschichte.
    Das hat mich befreit zu leben und im Kleinen zu zeigen, was ich für wertvoll und gesund halte.
    Ich wirke da, wo ich lebe und nicht mehr in den immer unübersichtlicher werdenden Weiten des Web.
    Eins zu eins in kleinen Begegnungen – nicht mehr als eine von Tausenden, die sich mitteilt, sondern als die eine Freundin, Nachbarin, Bekannte.
    Ich stelle fest, dass genau dort, in meiner Umgebung, meine Worte gehört werden.

    Ich wünsche uns allen gute Zeiten.
    Herzensgrüße
    Imke

    • Das geht mir genauso. Lange habe ich damit gerungen. Was bedeutet „Sein“? Und doch „war“ ich schon, ohne es zu merken. Liebe Grüße, Kirsten

  3. ….oooh, liebe Imke…..das finde ich auch sehr schööööön…..das kann ich soooo gut nachvollziehen…..und empfinde das auch sehr ermutigend für meinen Weg….DANKE ❤️ 💕 💞 🥰

    Von Herzen zu Dir, Du mutige Seele….
    Dagmar

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