Peter Bichsel – Freude und Abschied

Lesezeit 4 Minuten –

Als Jungbuchhändlerin arbeite und lerne ich meinen Beruf bei Herder in München. Eine der großen Buchhandlungen Mitte der 1980er Jahre mit vielen Etagen, Themen, Bereichen. Einer Fülle an reich ausgestatteten Abteilungen. Bis hin zu Musik – damals noch in schwarzes Vinyl gepresst.

Eines Tages erscheint ein mir noch unbekannter Schweizer Schriftsteller in der Buchhandlung, um aus seinem neu erschienenen Buch zu lesen.

Sein Name ist Peter Bichsel.

Ich darf dabei sein an diesem Abend. BesucherInnen begrüßen, Mäntel abnehmen. Zuvor den großen Raum bestuhlen für die Lesung mit dem Schweizer Autoren. Sein Buch „Schulmeistereien“ ist gerade frisch erschienen. Mit den Erzählungen ist er unterwegs auf Lesereise. Und so erlebe ich diesen tief fühlenden Menschen und Schriftsteller. Der mir beides zugleich atmet – Melancholie und einen Humor ganz eigener Art.

Sein feines Spüren, Empfinden, sein gewitztes Spiel mit Bildern, Worten und einer wunderlich knappen Sprache sind mir ein Fest. Was für eine Freude, diesen Menschen zu entdecken. Und so wird Peter Bichsel einer, der mir früh dabei hilft, mich auf dieser Erde zuhause zu fühlen.

Kürzlich hat er mir mit seinem ganz eigenen Humor erneut ein Geschenk gemacht.
In der klassischen Herausforderung für hochkreative Geister ringe ich jahrzehntelang um ein stimmiges Maßhalten in Bezug auf Materie. Alles ist mir wertvoll. Aus jedem Fundstück vermag ich etwas Neues entstehen zu lassen. Weil ich den Weg fürs Maßhalten lange Zeit nicht kenne, hab ich fröhliche Urständ zu feiern, was Freilassen, Aussortieren, Verschenken anbelangt.

Während ich in dieser Herausforderung stehe und noch voller Not um eine Lösung ringe, fällt mir eines Tages aus heiterem Himmel der Satz zu …

Ein Tisch ist ein Tisch

… und ich muss herzlich lachen angesichts dieser eigentümlich anmutenden Feststellung. Erinnere mich an den Mann aus „Kindergeschichten“, der eines Tages beginnt, seine Möbel umzubenennen. Der dem Tisch nun Schrank sagt, den Stuhl Teppich nennt. Das Fenster heißt er fortan Vase. Oder so.

Der Titel der kuriosen, humorvoll-melancholischen Erzählung aus Bichsels Feder wird mir zur Freude plötzlich zum Katalysator – für meinen Ausstieg aus der Enge und den Einstieg ins Lachen. Weil – ich hab doch unbedingt Lust, meinen Tisch wieder einen Tisch sein zu lassen. Ihn zu befreien aus der Last, ein Regal, Schrank, Ablageort für stets nachwachsende Berge von Kostbarkeiten sein zu müssen. Tatsächlich will ich gern wieder dran sitzen.

Und wahrhaftig, am runden Tisch meiner Wohnküche sitz ich inzwischen wieder. Hab ihn zurückverwandelt in sein ursprüngliches Vermögen, mein Ankommens- und Verweilort zu sein fürs Genießen meiner Mahlzeiten.
Der Humor, der mir da in einem geschenkten Moment zufällt aus der Kuriosität von Peter Bichsels Erzählen, ganz plötzlich wie eine Himmelsgabe, trägt mich in die Weite. Hilft mir, mit einem Lächeln auf meine Hemmnisse und Hinderungen zu schauen. Und den Weg frei zu machen für Lösung und Gelingen.

Heute gehen meine innigen Gefühle zu diesem Mann, der mir durch sein Dasein und seine Geschichten die Welt zur Heimat machte. Damals schon, vor vierzig Jahren. Bis heute. Und weiterhin. Mit einer Träne im Knopfloch lächle ich Peter Bichsel zu. Er starb am vergangenen Samstag, wenige Tage vor seinem 90sten Geburtstag.

Wenn demnächst Plätze, Straßen, Bushaltestellen in Solothurn und allerorten nach dem großen Schweizer Schriftsteller benannt werden, hätte er gern – eine Bushaltestelle. Das jedenfalls war ihm eine lustige Vorstellung in jenem Gespräch, kürzlich noch, das Roman Bucheli von der Neuen Züricher Zeitung mit Peter Bichsel geführt hat.

………………..

Interview in drei Begegnungen mit dem 89jährigen Peter Bichsel in der Neuen Züricher Zeitung

Nachruf der NZZ auf den großen Schweizer Schriftsteller hier

Nachruf von Martin Ebel in der Süddeutschen Zeitung

Peter Bichsel, Ein Tisch ist ein Tisch – aus dem Buch „Kindergeschichten“, Suhrkamp Verlag, als TB und E-Book in deiner Buchhandlung oder hier bestellen

Peter Bichsel, Ein Tisch ist ein Tisch hören

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Miriam Licht
Miriam Licht

Ein Kommentar

  1. Liebe Miriam,
    vielen herzlichen Dank für Deine feinsinnige Geschichte mit Erinnerungen an und Wertschätzung für den gerade verstobenen humorig-weckenden Peter Bichsel.
    Für mich eine Einladung, den Dingen und mir selbst liebevoll immer wieder von Zeit zu Zeit eine Aktualisierung zu schenken, ihnen im Raum einen neuen Ort anbieten, einer neuen Zusammenstellung unter Einbeziehung von Keller und Boden, von Kaufhaus, Bohmaschine, Nadel und Faden oder Pinsel. Den Dingen und mir selbst ein neues zweites, drittes, … Leben schenken. Dabei bin ich gerade auch. Und ich/wir (?) genieße(n) den Tisch und schaue(n), was passiert…?
    Herzliche Grüße an diesem sonnigen Tag
    Martha

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